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Kausalität im Dienstunfallrecht der Beamten

Medizinisch geht es hier um Wirbelsäulenprobleme.
Menschlich geht es um die häufig anzutreffende Situation, dass ein Beamter / eine Beamtin darauf hinweist, vor einem bestimmten Dienstunfall hätte es keine Probleme gegeben, Schmerzen seien zuvor nie aufgetreten.
Und juristisch steht im Vordergrund noch einmal die Erläuterung jener Theorie, mit deren Hilfe die Gerichte bestimmen, was als wesentliche Teilursache anzuerkennen ist.

Verwaltungsgericht Darmstadt, Urteil vom 20.01.06, 5 E 1420/04

1. Klagen von bei den Nachfolgeunternehmen der ehemaligen Deutschen Bundespost beschäftigten Beamten in Angelegenheiten des Dienstunfallrechts sind gegen die Unfallkasse Post und Telekom zu richten und nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland
(entgegen OVG Münster, Urteil vom 06.05.99 - 12 A 2983/96; Urteil vom 28.01.04 - 1 A 228/01).

2. Zur Kausalität im Dienstunfallrecht.


1.
Die Klägerin war Postbeamtin, bis sie wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde.
Zuvor hatte sie Dienstunfälle erlitten:
Am 15.01.02 rutschte sie auf eisglattem Boden aus und prallte mit nach vorne schwingendem Bein seitlich rechts auf. Der Rücken blieb unverletzt, doch schlugen das rechte Bein und der rechte Arm auf dem Boden auf. Hierdurch sei auch die Halsmuskulatur gezerrt worden.
Am selben Tag stürzte die Klägerin während der Zustellung mit dem Postrad erneut.

Sie setzte ihren Dienst zunächst fort und begab sich erst zwei Tage später in Behandlung. Die Ärzte stellten im Bereich der Halswirbelsäule einen ausgeprägten Druck- und Bewegungsschmerz mit Bewegungseinschränkung, einen Druckschmerz im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) und unteren Lendenwirbelsäule (LWS), am rechten Ellenbogen innen einen Druckschmerz bei freier Beweglichkeit und am rechten Kniegelenk einen Druckschmerz in der Kniekehle bei freier Beweglichkeit und stabilem Bandapparat fest. Eine Knochenverletzung wurde nicht festgestellt; es wurden jedoch deutliche Verschleißschäden der mittleren BWS und eine Seitneigungsverbiegung (degenerative Erkrankung der Wirbelkörper und Bandscheibenschaden) sichtbar. Deutliche Zeichen von Verletzung und Gewalteinwirkung waren nicht erkennbar.

Im März 2002 wurde eine ausgeheilte Ellenbogenprellung rechts und Anfang Mai 2003 eine bestehende Epicondylitis (Sehnenscheidenentzündung) festgestellt. Das Röntgen des rechten Ellenbogens am 02.09.02 war ohne Befund geblieben.
Bei einer Kernspintomographie des rechten Ellenbogens wurde keine Epicondylitis, sondern nur ein leichter Reizerguss festgestellt.

Auf die Unfallmeldung erfolgte im Dezember 2002 die Anerkennung der Unfälle als Dienstunfall. Es wurde bestätigt, die Klägerin weise ein HWS-Syndrom, ein LWS-Syndrom bei Fehlhaltung und rheumatische Beschwerden auf.
Verneint wurde die Frage, ob das Unfallereignis wesentliche Ursache der Beschwerden sei.

Die Beklagte gab ein unfallchirurgisches Gutachten in Auftrag, das Klärung über einen möglichen Zusammenhang zwischen den fortbestehenden Beschwerden und dem Unfall schaffen sollte. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass sich die Klägerin durch den Unfall nur einfache Prellungen zugezogen habe, die nach zwei Wochen verheilt gewesen seien. Wesentliche Verletzungen seien durch das Unfallgeschehen nicht entstanden.

Daraufhin lehnte die Beklagte die Einstufung der geklagten Beschwerden als Folge des Dienstunfalls ab. Der Klägerin stünde kein Unfallausgleich nach § 35 BeamtVG zu. Über den 31.01.02 hinaus habe sie keinen Anspruch auf Unfallfürsorge. Der Widerspruch blieb erfolglos.

2.
Die daraufhin erhobene Klage ist nicht begründet.

a. Die Klage ist gegen die Unfallkasse Post und Telekom als eigenständiger juristischer Person des öffentlichen Rechts, nämlich einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zu richten.
...

b. Gemäß § 35 Abs. 1 BeamtVG erhält der Beamte neben seinen Dienstbezügen einen Unfallausgleich, wenn er infolge eines Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist. Vorliegend ist streitig, ob die anhaltenden Beschwerden der Klägerin ursächlich auf den Dienstunfall zurückgehen.

Unter Berücksichtigung der eingeholten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, des Zusammenhangsgutachtens der BG-Unfallklinik und des eingeholten Gerichtsgutachtens gemäß Beweisbeschluss ist der Nachweis der geforderten Ursächlichkeit nicht geführt.

Bezüglich der geklagten Beschwerden im Schulter-/Rückenbereich vermag das Gericht einen Zusammenhang zwischen Beschwerden und Unfallereignis ebenfalls nicht zu erkennen. Die ärztliche Bewertung, die Klägerin leide an einer alterstypischen Degeneration der Bandscheibe und ihre Schmerzen seien nicht auf den Unfall zurückzuführen, erscheint nachvollziehbar. Denn schon die Unfallschilderung ergibt keinen Hinweis auf eine richtungsweisende Verschlechterung eines vorbestehenden Halswirbelsäulenschadens. An der Halswirbelsäule wurden keine Folgeschäden des Unfalls nachgewiesen.

Der Einwand der Klägerin, sie sei vor dem Unfall schmerzfrei gewesen, weshalb die jetzigen Schmerzen auf dem Unfall beruhen, gebietet keine andere Betrachtung. Es erscheint nachvollziehbar, dass sich Veränderungen an der Wirbelsäule und den Bandscheiben nicht sofort bemerkbar machen und unmittelbar Schmerzen auslösen, sondern es sich insoweit um einen langjährigen Prozess handelt, bei dem offen ist, zu welcher Zeit es zu konkreten Beeinträchtigungen und Schmerzzuständen kommt. Soweit der Unfall die Schmerzen erstmals ausgelöst hat, ist darauf hinzuweisen, dass er im unfallrechtlichen Sinne nicht ursächlich war. Erleidet nämlich ein bereits Vorerkrankter durch ein äußeres Ereignis eine zusätzliche gesundheitliche Schädigung in der Art der Vorerkrankung, so kommt dem äußeren Ereignis nur dann ursächliche Wirkung zu, wenn es bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt. Keine Ursachen im Rechtssinne sind so genannte Gelegenheitsursachen. Das sind Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und der dienstlichen Verrichtung eine rein zufällige Beziehung besteht.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die derjenigen der Sozialgerichte zum Begriff der wesentlichen Ursache in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferfürsorge entspricht, sind als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als alleinige Ursache im Rechtssinne anzusehen, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise überragend zum Erfolg mitgewirkt hat, während jede von ihnen als wesentliche (Mit-) Ursache im Rechtssinne anzusehen ist, wenn sie nur annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolges hatte (BVerwG, ZBR 1989, 57 m. w. N.).

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Häufig übersehen Beamte die Möglichkeit, einen Dienstunfallausgleich zu beantragen.

Einen Unfallausgleich erhalten Sie bei länger dauernden Beeinträchtigungen mit einer MdE von mindestens 25%.
Es muss aber die Kausalität zwischen Dienstunfall und Beschwerdebild bewiesen sein. Darum geht es bei dem Stichwort Kausalität.
In der Entscheidung des VG Darmstadt wird die Kausalität als nicht gegeben angesehen.
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